20.02.2021

Peterburger Armenspeisung? - Befstroganov

Das berühmteste russische Rezept geht auf die Salzhändlerfamilie Stroganov, die bei der Besiedelung Sibiriens eine führende Rolle spielte, zurück. Von der wird berichtet, dass sie dieses Gericht von ihrem Koch entwickeln ließ, um es – im Sinne der heutigen „Tafeln“ – im Garten des barocken Stadtschlosses am Newski Prospekt (Строгановский дворец) kostenlos an Arme zu verteilen: „In Streifen geschnitten und gebraten ließ sich das zarte Rinderfilet besser auf mehrere Teller verteilen“, erklärt Marcus Schmid in seinem Reiseführer über Leningrad (2017, S. 203).


Sturm auf das Winterpalais: statt Almosen im nahegelegenen Stroganov-Palais holt sich die Arbeiterklasse direkt, was ihr zusteht. 1920 hysterisch statt historisch korrekt nachgestellt von Николай Николаевич Евреинов

Mit dem Wissen um diesen vermeintlich philantropischen Hintergrund isst sich das edelste Stück vom Rind doch gleich mit viel besserem Gewissen!



Eine andere – gleichermaßen glaubwürdige – Darstellung zur Entstehung des Gerichts ist von Friedrich Hollaender vorgelegt worden: Demnach habe der eifersüchtige Gatte einer für Seitensprünge überaus offenen Frau seine Wut über deren Untreue an einem Stück Fleisch ausgelebt.
Hier in einer Version der legendären Helen Vita

Heda, Wirt! Bring mir ein Filet - aber roh! So!
Und dazu ein großes Messer
Kann ich zeigen meinen Freunden besser
Mit Messer
Was ich gemacht aus Schmutschkinoff
Hchuit! Hchuit!
Und mit dem Messer - hei-juchhe
Sticht Stroganoff in das Filet
Und kreuz und quer
Und hin und her
Sieht gar nicht wie Filet aus mehr
Ohne Lücke
Haut er es in tausend Stücke
Voller Wut
Ist das gut?
Das is gut!

Man stößt in russischen Gerichten immer auf das Milchprodukt „Smetána“. In alten deutschen Rezepten auf den verwandten Begriff „Schmand“. Das Produkt finden wir in Österreich nur in russischen oder polnischen Läden. Es ist fett (bis zu 42 %) und cremig und nicht stichfest wie Creme fraiche oder Saure Sahne („Sauerrahm“).




Eine Russin im Exil empfiehlt die Selbstherstellung von Smetána: „Es ist nur Milch oder Sahne mit Joghurt gemischt… Jede Nacht, bevor ich ins Bett gehe, lasse ich es einfach in einem Glas stehen, und am Morgen ist es fertig.“ 
So machen wir es auch – Schlagsahne mit fettem griechischen Joghurt mischen und (nicht im Kühlschrank!) ein Paar Stunden abgedeckt stehen lassen.
Im obigen Rezept werden neben Filet und Schmand nur Zwiebel, Mehl, Pfeffer und Salz benutzt, das Produkt mit Dill bestreut.
Wir nehmen die Hollaenderschen Zutaten:

Was soll ich hineintun noch
Väterchen Koch? -
Von mir aus, was du willst tu rein
Frisst doch kein Schwein:
Ob saure Sahne, Zwiebelring
Ob Paprika, ob Pfefferling!

Pilze - gerne Steinpilze - tauchen in den meisten Rezepten auf, Paprika wohl eher als Pulver denn als frische Schote.
„Die Küche in Rußland“, ein TIME-LIFE-Buch aus 1979 empfiehlt:



Alles falsch! 30 Minuten, um Zwiebel und Pilze "weichzugaren" sind ebenso zerstörerisch wie das Kochen der Filetstücke bis zum Hartwerden.

 

Anstatt das Filet zu zerhacken braten wir es - gesenft und gesalzen - im Ganzen, lassen es rasten, danach erst schneiden wir es, um es kurz vor dem Servieren in der fertigen Soße zu erwärmen. Das lange "Kochen" in der Soße, wie es in alten Originalrezepten zelebriert wird,  macht das edle Produkt jedenfalls eher zäh – das ist es auch, was die Armenspeisungs-Legende nicht besonders glaubhaft macht.

Befstroganov soll immer etwas säuerlich schmecken, das gelingt durch den Schmand, einige würzen aber auch mit Zitronenzesten oder gar -saft nach. Serviert wird mit Kartoffelpüree oder -rösti, garniert mit Dill.


Zutaten 

  • Rinderfilet-Spitzen (zimmerwarm, also ca. 2 Stunden vor der Zubereitung aus dem Kühlschrank holen)
  • scharfer Senf - für Experimentierfreudige wie im oben dargestellten 
  • Champignons oder edlere Pilze
  • 1 Zwiebel, halbiert und in Scheiben zerschnitten
  • ein Gläschen Rotwein
  • Smetána
  • Dill
  • "rosenscharfer" Paprika
  • Zitronenzesten


Zubereitung

  • Filetspitzen sind preiswerter als das Mittelstück, haben aber den Nachteil, das sie - ihrem Namen gerecht werdend - auf einer Seite breit, am anderen Ende spitz auslaufen. Wenn wir das Stück als Ganzes garen wollen, verwenden wir den Schmetterlingsschnitt um ein Bratstück etwa gleicher Dicke anzufertigen. 
An der breiten Seite schneiden wir das Fleisch in der Mitte waagrecht ein etwa 2 cm vor der Spitze und klappen es dann um.

 

Schmetterlingsschnitt

  • Filet mit Senf einreiben und salzen.
  • Öl gut erhitzen, Filet in die Pfanne geben und ca. 1 Minute scharf anbraten
  • Umdrehen, Pilze und Zwiebeln dazugeben und wiederum 1 Minute anbraten und pfeffern. Kerntemperatur an der dicksten Stelle sollte 50 Grad betragen, dann aus der Pfanne nehmen und in Alufolie wickeln.
  • In die Pfanne Paprikapulver zugeben, kurz anrösten lassen, mit Rotwein ablöschen und Smetána dazu. Bei großer Hitze einkochen lassen und mit etwas Zitronensaft und -zesten abschmecken.

Anbraten, Pilze und Zwiebeln - Paprizieren - Smetana

  • Kurz vor dem Servieren Filet in ca 4mm dicke Scheiben schneiden und in die heiße Soße geben. Sofort servieren und mit Dill bestreuen.