19.06.2021

Kalb mit Fisch 1 - Kaliningrader Klopse

Während Leningrad nach einer Volksabstimmung (54 % stimmten für die Umbenennung) seit 1991 wieder nach dem Schutzheiligen des Zaren heißt, Gorki nun Nishnij Nowgorod und Stalingrad sowieso zu recht irgendwie anders, heißt das ehemalige Königsberg, Wirkungsort des großen Immanuel Kants, merkwürdigerweise immer noch nach Michail Iwanowitsch Kalinin, der von 1923-1946 das eigentliche Staatsoberhaupt der UdSSR war. Da ist die Umbenennung wohl vergessen worden... 




Von Kant, dem "großen" Sohn der Ostseestadt, wissen wir aus einer Zeichnung von Friedrich Hagemann, dass er gerne Senf anrührte – ob für die Königsberger Spezialität ist nicht überliefert. Zu seinem Angedenken geben wir der Klopse-Masse jedenfalls etwas Senf bei. 


Kant rührt Senf an

Unser Rezept für Kaliningrader Klopse geht auf Johann Lafer zurück. Die von ihm vorgeschlagene Nutzung von Kartoffelpüreepulver ist irgendwie komisch, funktioniert aber! Seine Idee, die Klopse in Kalbsfond zu garen, ist freilich ebenso subversiv wie lecker. 

 

DOPPEL-RETRO: Johann Lafers modifiziertes "Retro"-Rezept aus Essen und Trinken von Juli 2000


Im ehemaligen Ostpreußen wurden statt Sardellen übrigens auch Salzheringe verwendet. Tim Raue (in Hiekmann, 2018, S. 46f) wolft zusätzlich Kalbsbries oder -zunge mit, um den Fettgehalt zu erhöhen und damit den geschmacklichen Nachhall zu verlängern. Alles ausprobierbar!

Bei uns in Oldenburg gab es zu den Klopsen immer Reis, ich präferiere derweil Kartoffelpüree. Muttis Soße war natürlich keine "Sabayon", sondern eine Bechamel aus Butter, Mehl, dem Kochsud der Klopse und Kapern. So machen wir es hier auch. 

Die klassische Beilage ist und bleibt Rote Bete Salat - auch Tim Raue serviert sie, und - um einen kontrastreichen Teller anbieten zu können, betont er: besonders kalt.



Zutaten 

  • 400g Kalbsfleisch, zweifach gewolft
  • 2 kleine Zwiebeln, gewürfelt
  • 1 große Knoblauchzehe, fein gewürfelt
  • 6 Sardellenfilets, am liebsten aus der Dose von SPAR (kalabrische!)
  • Kapern
  • 10 Koriandersamen, ohne Fett geröstet und anschließend gemörsert
  • 1 TL Oyster Fischsauce
  • Petersilie
  • weißer Pfeffer
  • 20 g Kartoffelpüreepulver
  • 25g  Schlagsahne oder 40 g Smetana
  • 1 Ei
  • 1 TL Dijon-Senf
  • 600 ml Kalbsfond
  • 30 ml Essig
  • 10 g Mehl
  • 40 g Kapern

Zubereitung

  • Für die Klopse Fleisch zunächst durch die weite Scheibe des Fleischwolfs drehen, dazu immer mal Sardellen und ggf. Kapern beigeben und mitwolfen - das Produkt dann noch mal durch die enge Scheibe des Wolfs quetschen. 
  • Zwiebelwürfel in Butter andünsten, später Knoblauch und Petersilie, mit Fischsoße ablöschen
  • Koriander anrösten und mörsern
  • Koriander, Zwiebel-Knoblauch-usw.-Masse abgekühlt zum Fleisch geben
  • Dazu Sahne/Smetana, weißen Pfeffer; Ei und Kartoffelpüreepulver
  • Gut vermengen und mit den Händen kneten
  • Klopse formen

Was hielt Krupskaja (hier im Bild beim Stören der Zubereitung) von Kalinin?

  • 2 EL Butter erhitzen, 2 Sardellenfilets darin zerdrücken. Mehl dazugeben, mit einem Schneebesen rührend anschwitzen, mit einem EL Essig ablöschen, dann Kalbsfond dazugeben. Rühren
  • Klopse einlegen, immer mal wieder schwenken, damit die Klöpse rundum garen. Noch ca. 5 Minuten unter dem Siedepunkt 10 Minuten simmern lassen. 

Klöpse garen im Kalbsfond

  • Klöpse vorsichtig rausnehmen und warmstellen.
  • Kochsud ordentlich ein köcheln lassen, Kapern zugeben.


Und wenn man noch Musik zu den Klopsen hören will, dann biete sich das kleine Berliner "Klops-Gedicht" ("Ick sitze da und esse Klops', uff eenmal klopp's...") an, das Kurt Weill 1925 vertont hat.


Quellen 

Hiekmann, Stefanie (2018). Nachgefragt - 30  Spitzenköche verraten ihre Küchengeheimnisse. Igling: Edition Michael Fischer.



12.06.2021

Halászlé

Halászlé ist so etwas wie das pescatorische Pendant zum Gulyas: Scharf muss sie sein und papriziert. 

Pannonische Idylle: über loderndem Lagerfeuer werden von Hirten mit lustigen Mützen in einem am Dreifußgestell hängenden Kessel zunächst Zwiebeln angeschwitzt, Paprikapulver und getrocknete Schoten zugegeben, dann mit Wasser abgelöscht. Mangels Meereszugangs greift man zu Süßwassergetier: Geschröpfte Karpfen, Welse, Brasse - was halt so anbeißt.

Und das lässt man nachher auffällig lange kochen - einige Spezialisten sprechen von drei Stunden.

Naturgemäß wird jeder Fisch dann ziemlich zerfallen sein. Und deshalb wird es dann am Lagerfeuer ein ziemliches Klamüsel: größere Teile muss man aus dem Kessel fischen - die Tiere werden dann zum zweiten Mal geangelt. Die restlichen Bestandteile werden durch Flotte-Lotte-ähnliche Siebe gestreift und dem Kessel wieder zurückgegeben. Das ist alles in allem etwas beschwerlich. Dann gibt man noch bessere Teile in die Suppe und lässt sie noch mal garen. Im Hintergrund spielt jemand einen Csárdás. Und fertig!

Wir machen es etwas praktikabler...


Wir nutzen unseren eingefrorenen Fischfond oder bereiten aus den Karkassen der hier zu verwendenden Fische einen frischen Fond zu.


Zutaten Fond

  • Fische, am besten Süßwasserfische. Klassisch Karpfen, Wels, irgendwelche Brassen. Keinen Lachs! Seehecht habe ich ausprobiert, hat natürlich nichts mit dem Original zu tun - geht auch sehr gut.
  • 1 1/2 l Fischfond
  • 2 EL Gulaschpaprika-Pulver
  • Tatlı Biber Salçası - mildes Paprika-Mark aus dem Kurdenladen! Zugegebenermaßen nicht sehr Ungarisch, aber immer gut zum Intensivieren eines frischen Paprikageschmacks
  • 1 große Gemüsezwiebel
  • Knoblauch nach Geschmack
  • frische rote Paprika, in kleine Würfel geschnitten zum "Drüberstreuen"
  • wenig frischen Rosmarin, gehackt
  • 1 Lorbeerblatt
  • festkochende Kartoffeln - die nehmen wir, weil sie die Schärfe etwas moderieren und weil sie mich an Gulaschsuppe aus der Dose erinnern. In Ungarn wird Fischsuppe eher mit sog. Streichholznudeln (gyufatészta) serviert, die man seperat gekocht hat - und vor dem Servieren zur Suppe gibt.

Zubereitung

  1. Karpfen muss man schröpfen, damit die vielen Gräten zerstört werden. Die Köpfe und Schwänze nehmen wir für den Fond. Als Einlagen schneiden wir "Steaks" oder filetieren den Fisch und schneiden ihn in dann etwa 8 cm langer Stücke.
  2. Sollten wir einen Fond im Tiefkühler haben, erhitzen wir diesen und lassen die Köpfe und Schwänze oder Karkassen der Fische, die wir nun verwenden wollen, darin eine halbe Stunde simmern.
  3. Haben wir keinen Fond, so bereiten wir aus diesen Abschnitten einen Fond zu, so wie hier.
  4. In einem breiten Topf die in ca 4 mm dicke Scheiben geschnittene Kartoffel in Olivenöl kross anbraten, vielleicht mit etwas Rosmarin bestreuen, noch mal durchrösten und wieder herausnehmen. Beiseite stellen.
  5. Noch mal Olivenöl in den Topf geben und darin zuerst die gewürfelte Zwiebel, dann den zerkleinerten Knofel andünsten.
  6. Paprikapulver dazugeben und gut umrühren. Rasch etwas vom Fond dazugeben und einköcheln lassen. 
  7. Wenn vorhanden Paprikamark, z. B. das türkische biber salçası, dazu und noch mal anrösten und schließlich den ganzen Fond einfüllen. Salzen,  Lorbeerblatt, getrockneten Paprika dazu, aufkochen lassen und ca. eine halbe Stunde mit Deckel simmern lassen bis die Zwiebeln weich sind. 
  8. Dann getrockneten Paprika und Lorbeerblatt herausfischen und den Fond pürieren.
  9. Kartoffelscheiben hinzugeben.
  10. Gesalzene Fische einlegen, Suppe gerade mal eben aufwallen lassen, dann sofort Topf vom Herd nehmen und ziehen lassen, bis der Fisch gar ist.
  11. Vor dem Servieren kontrollieren, ob die Kartoffeln gar sind und alles noch mal erhitzen.
  12. Wenn man noch sehr kleine Würfel einer frischen roten Paprika darüberstreut, hat man noch etwas Süße und etwas Biss beim oralen Konsum.

Und so sehr uns die Ungarn politisch auf die Eier gehen, bedenken wir auch die großen Kinder dieser Region - z. B. Bartók und Liszt! Musik zur Suppe