02.01.2020

Grünkohl, die Oldenburger Palme

Nun klingt ja kaum etwas vegetarischer, kalorienärmer und gesünder als der Begriff "Grünkohl". Doch dieser Eindruck führt schnurstracks in die Irre!  Kaum etwas ist mehr mit Würsten, Speck, Gepökeltem und Geräuchertem vom Schwein eingefleischt als ein traditionell zubereiteter Grünkohl Oldenburger Art. 

Lang geköchelt muss er sein, damit am Ende das ganze Haus nach Grünkohl riecht und jedes lästige A-, C- oder K-Vitamin aus dem Superfood verlässlich verdunstet worden ist. 


Grünkohl am Balkon in der Leopoldstadt

Galt es doch, im feuchtkalten norddeutschen Winter etwas nahrhaft Fetthaltiges zu sich zu nehmen - ob der besseren Verträglichkeit mit einer gehörigen Ration Branntwein aus Weizen, Roggen, Gerste ("Korn") oder Kümmel - wie die Friesin sagt: "mit nen lütten Kööm". 

Um sich den notwendigen Hunger anzutrainieren, pflegen die Oldenburger*innen das Brauchtum der "Kohlfahrt". Hierbei werden alkoholische Getränke im Leiterwagen als Wegzehrung nachgezogen und ein Marsch durch die Marsch muss bewältigt werden. Zwei  konkurrierende Mannschaften sollen sich beim vergnüglichen Volkssport des  Boßelns oder Besenwerfens gegenseitig überholen, was dann wiederum Anlass ist, mit der jeweils besiegten Gruppe einen kleinen gemeinsamen versöhnlichen Umtrunk zu begehen. Damit das Gedeck keine größeren Umstände macht, trägt man als Ersatz für Schnapsgläschen einen Eierbecher am Bande um den Hals.

In den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrtausends waren als Eierbecherfülle mit Saft verdünnte Schnäpse wie der "Appelkorn" der Haselünner Firma Berentzen besonders beliebt.



Gedeck der Klassischen Kohlfahrt
Mama im Kreis ihrer Schulfreundinnen,
im Vordergrund (v.l.n.r.) Kööm, Kasseler, Mettwurst und Pinkel

Nach so viel sportlicher Betätigung an der eisigen Frischluft im Wirtshaus angelangt, hieß es nun für alle Beteiligten sich vor dem Essen von einer/m Zeremonienmeisternden hilfs einer analogen Personenwaage abmessen zu lassen. 

Nach dem Essen wurde wieder gewogen, und wer akut die größte Gewichtsdifferenz ausweisen konnte, wurde zum "Kohlkönig" gekrönt und erhielt einen schmucken Lorbeerkranz oder ein Zepter aus Kohl.



Kohlfahrt mit Mamas Freundinnen:
Unbekannte Kohlkönigin mit Königshose, Orden und Zepter



Bekannter Kohlkönig im traditionellen Ornat, auch mit Zepter:
Vize-Kanzler in spe Robert Habeck, 2019
(Quelle: NWZ vom 13.03.2019)

Die alternative Kohltradition für reiche weiße Männer ist das Bremer Schaffermahl, zu dem die Reeder der Hansestadt dereinst ihre Kapitäne einluden, bevor ihre stolzen Fregatten in See stachen. 

Da gab es Hühnersuppe, Butt aus Riga, Stockfisch mit Senfsoße und als Krönung den "Braunkohl", wie das nämliche Produkt im benachbarten Stadtstaat fälschlicherweise gerufen wird. Das Schaffermahl gibt es in der Renaissance-Rathaushalle Bremens immer noch - für "Pinguine" (so nennt der gewöhnliche Bremer die fracktragenden Schnösel) und nach wie vor ohne "Fruenslüt".



Gedeck der Schaffermahlzeit 1964 (Quelle: WESER-KURIER vom 30.01.2018)

Das unverzichtbare Fleischutensil zum Kohl ist und bleibt hier und dort die "Pinkel": komponiert aus Nierenfett, frischem Speck, Flomen (Bauchfett) vom Schwein, manchmal Rindertalg, immer Zwiebeln und viel Gersten- oder Hafergrütze, Salz, Pfeffer, Nelken, Piment sowie allerlei weiteren besser gut gehüteten Geheimnissen - und dann geräuchert.



Zutaten (in Klammern für 2 Dosen Grünkohl á 800g, ergibt etwas mehr als 1 kg Kohl)

  • Grünkohl, 1 ganze Palme
  • Zwiebeln (2 große, blättrig geschnitten)
  • Knoblauch (4 Zehen)
  • Majoran (1 EL)
  • wenn im Hause: Beifuß (1 EL)
  • Gänseschmalz (1 EL)
  • Zucker (1 EL)
  • Brühe (400ml, zB Rinderbrühe oder vegetarisch Gemüsebrühe)
  • Salz, Pfeffer
  • Haferflocken
  • scharfer Senf (im Hause Dörr gab es "Löwensenf", davon 1 TL)
  • Maroni aus dem Vakuumbeutel (die gibt es in Bremen dazu...)
  • Bratkartoffeln 
  • Pinkel
  • Mettenden
  • "Kasseler"
  • gräucherte Schweinebacke
  • Speck
Alle Zutaten bestellt man online bei Monse..., zB Grünkohl in Dosen, Oldenburger Pinkel (inzwischen auch fleischlos!) und Oldenburger Kochwurst. In Wien gibt's inzwischen für gutes Geld endlich auch tiefgefrorenen Kohl beim Denns Bobo-Diskonter.

Zubereitung

Wir beschreiben hier die Zubereitung mit frischem Kohl. Weniger aufwändig ist es, tiefgekühlten Grünkohl zu verwerten. 

Frischen Kohl erhält man überteuert ab Herbst hingegen auf einigen Märkten. Meiner Erfahrung nach ist es billiger, nach München zu fliegen und dort auf dem Viktualienmarkt ein paar Kilo einzukaufen - da gibt es viel und guten!



Kohl braucht Frost  (dann wird er süßer!) - aber man kann es auch übertreiben...
Quelle: https://resteverwertung.net/tag/gruenkohl/


1) Kohl waschen, dann die Blätter von den Stielen zupfen. Am besten nur die kräuseligen Enden der Blätter, dann - so Tante Wilma - wird der Kohl am feinsten. Dies ist die mühsamste Prozedur beim Kochen von Kohl und gehörte zu den klassischen Haushaltspflichten der Kinder in norddeutschen Haushalten.

Kohlblätter mit einem großen Kochmesser klein zerhacken

2) Zwiebeln blättrig schneiden und in Gänseschmalz glasig dünsten. Wer mag: vor der Zugabe der Zwiebeln 1 EL Zucker etwas karamellisieren, erst dann Zwiebeln hinzu. Wenn die Zwiebeln ganz leicht bräunlich sind, Knoblauch dazu.
Sollte Kasseler im Haus sein, kann man ihn mit den Zwiebeln von beiden Seiten anbraten, um Röstaromen zu generieren.

3) Zerkleinerten Kohl (oder tiefgefrorene Ware oder eben die Dosen mit einem Teil der Flüssigkeit) hinzugeben.

4) (Rinder-)Brühe hinzugeben.

5) Salzen, großzügig pfeffern, Majoran und Senf dazu.

6) Aufkochen, durchgehend rühren, dabei zerfällt der Kohl. Dann Deckel drauf und bei kleiner Flamme dünsten lassen. Der Kohl wird nun von leuchtend grasgrün zu braungrün. Dabei immer kontrollieren, dass genügend Flüssigkeit drinnen ist und der Kohl nicht am Topfboden anbrennt.

7) Nun auch abschmecken, wie bitter der Kohl noch ist und mit Zucker vorsichtig ausgleichen.

Nach ca. 15 Minuten durchströmt schon der klassische, aus der Kindheit gewohnte, unverwechselbare Geruch von Grünkohleintopf das Haus.

--- HIER ENDET DER VEGETARISCHE TEIL DES REZEPTS --- HIER ENDET DER VEGETARISCHE TEIL DES REZEPTS 

8) Klassischerweise gibt man nun auch die Fleischbestandteile dazu. Die Pinkel sticht man vorher mit einer Gabel an - damit das Fett in den Kohl ausläuft. Die Wurst ist dann beim Verspeisen weniger fett. Da allerdings der Kohl dann sehr fett ist, sind in den 80er-Jahren die Mütter dazu übergegangen, Pinkel und Kochwurst zunächst in Salzwasser getrennt aufzuwärmen, damit das Fett dort austritt. Und erst vor dem Servieren wurden die Würste noch mal kurz im Kohl aufgewärmt. Kasseler und Speck gehörten aber während des gesamten Kochens in den Kohl - wegen des Geschmacks! Geräucherte Schweinebacken schmeckt auch gut drinnen.

9) Immer darauf achtend, dass nichts anbrennt, köchelt der Kohl mit Deckel bei kleiner Hitze gut eine Stunde vor sich hin. Wenn man ein bisschen von der Flüssigkeit, in der die Würste gewärmt wurden, dazu gibt, kann das nicht schaden.

10) Dann Haferflocken zugeben, damit die verbliebene Flüssigkeit sich bindet, nochmals 10 Minuten unter gelegentlichem Rühren köcheln lassen und mit Senf und Majoran abschmecken. Die Zugabe von Beifuß könnte das Gericht bekömmlicher machen. Aber sicher ist das nicht!

To be continued 🔜 



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