03.12.2021

...dass auch nicht ein Körnchen unverwandelt bleibt...

Teig kneten - ich neige dazu, dass der KitchenAid zu überlassen. Aber immer wieder hört man ja, dass das Kneten mit den Händen die besten Produkte hervorbrächte. 

Manchmal, eher im Winter, kann man das ja dann auch mal machen. Zum Anspornen höre ich dazu das Scherzo aus Mahlers 5. Sinfonie. Warum das? Weil Mahler dazu selbst sagte, in diesem 2. Satz seiner prominentesten Sinfonie, werde alles "durchgeknetet, daß auch nicht ein Körnchen ungemischt und unverwandelt bleibt". 



Otto Böhler: Scherenschnitt Gustav Mahler dirigiert
Aufnahme mit Claudio Abbado (2005) ab Min 28:20


Gemeint ist ein polyphones Wirken an den Motiven und Themen, das zuletzt ein sehr modernes Klang-Gespinst ergibt. Das dauert - je nach Dirigent*in - um die 20 Minuten. Das wird ja für so einen handgekneteten Teig wohl reichen müssen! 

Für das Kneten eines guten Nudelteigs mit den Händen wird die Dauer von 10 Minuten beschworen, für Brot können es auch schon mal 30 sein.

Man kann zum Hornklang kräftig einatmen und zupacken, im 3/4-Takt beschwingt kneten, sich auf einer Alm in frischer Luft wähnen, dann den Teig kitzeln, streicheln bis irgendwelche Fanfaren wieder aufwühlen, um dann beim innigen Gedenken an seine Feinde den Teig fortissimo wütend zu würgen und reißen - entspannend mittenmang Rasten und Zupfen - und endlich tobend aufs Knetholz zu werfen. Also eben mal alles durchkneten.

Das macht mit Musik mehr Spaß als a capella.

07.11.2021

Zarzuela

Zarzuela ist zunächst mal eine spanische Variante des Singspiels. Dieser Name wurde in Katalonien für eine üppige Kreation mit Meeresgetier und Tomaten geborgt.

Unsere Zarzuela ist eine Fischsuppe spanischer Art, die - anders als unsere Bouillabaisse - aus einem Fond mit kräftig angerösteten Fischkarkassen und Tomate zubereitet wird.

Dazu geben wir die sog. "Picada", die aus Mandeln, geröstetem Brot, Petersilie und Knoblauch gemörsert wird. Sie gibt der Suppe noch einen gewissen "Crunch". Alles mit viel viel Spanischem Olivenöl.





Fischkarkassen auf dem Weg zur Zarzuela


Zutaten

  • 1 Tüte TK-Shrimps
  • 4 Doraden
  • 4 Stück Angler (katal. "rap")
  • 1 Drachenkopf
  • wenn erhältlich, was in Österreich unwahrscheinlich ist: Seehecht ("merluza" oder katal. "lluç") und Meeraal ("congre")
  • 2 Kalmare
  • 1 Netz Muscheln, wenn erhältlich galizische Herzmuscheln ("berberechos"), sonst Venusmuscheln
  • Mandeln ohne Haut
  • 4 große (z. B. Ochsenmaul-) Tomaten
  • Knoblauchzehen
  • Thymian
  • Weißbrot für Croutons
  • Zwiebel
  • Möhrchen
  • 1 rote Paprika
  • 2 Lorbeerblätter
  • 1/4 l Traminer
  • 3/4 l Fischfond oder Wasser
  • ein Glas Sherry oder Brandy

Zubereitung Suppe

  • 1 Tüte Shrimps mit Schale zerhacken
  • 4 Doraden filetieren, Karkassen zerschneiden, Hälfte der Filets als Einlage zurücklegen. Abwaschen und gut trocken tupfen. 
  • In Olivenöl zuerst die Shrimps bei großer Hitze am Herd scharf anbraten, rausnehmen. 

 

  • Dann portionsweise Fischstücke, so dass sie gut anbräunen. Nicht rühren, anbraten lassen! 
  • Shrimps und Fisch danach gemeinsam im Backofen (275 Grad) weiter rösten, vielleicht 10 Minuten.
  • Wir wollen kräftige Röstaromen! Wenn die Sache gut geröstet aussieht und alles streng nach Fisch riecht, das Meeresgetier aus der Pfanne nehmen
  • Dann darin Knoblauch und eine gewürfelte Zwiebel glasig anschwitzen. Fein geschnittenen Bleichsellerie und Fenchel dazu (dezente Mengen). 
  • 3 große Tomaten halbieren und mit der Schnittfläche an einem groben Reibeisen hexeln, verbliebene Schale wegschmeißen. 


  • 2 geputzte Möhrchen und eine Petersilienwurzel ebenfalls so raspeln. 
  • Gemeinsam dazugeben und bei kleinster Hitze reduzieren, bis nur noch wenig Flüssigkeit vorhanden ist. 
  • Meersalzen (1 TL), ein Paar Büschel Thymian, ein Paar Peperoncino-Kerne (Vorsichtig!) und ein Lorbeerblatt dazugeben
  • Evtl. Tomatenmark, wenn die Tomaten nicht aromatisch genug waren. 


  • Fischkarkassen dazu, durchrühren und noch mal 5 Minuten bei starker Hitze anschwitzen lassen.
  • 1/4 l Traminer oder Sherry Amontillado zugeben, unter Rühren reduzieren
  • Dann 1/4 l Fisch- oder Muschelfond und 3/4 l Wasser zugeben, bei kleiner Hitze mit Deckel 30 Minuten zusammen leise köcheln lassen. 
  • Mit Deckel vom Feuer nehmen, ca 10 Minuten abkühlen lassen. 
  • Zunächst durch ein feines Sieb Flüssigkeit in einen anderen Topf abseihen. 
  • Dann Karkassen durch die flotte Lotte in einen anderen Topf drehen. 
+

Gemetzel in der Flotten Lotte

  • Je nach Gusto beide Topfinhalte in einem dritten Topf so mischen, dass sie eine kräftige Basis für die Fischeinlage bilden. 

Zubereitung Picada

  • Paprika vierteln.
  • Die Haut der Tomate kreuzweise aufschneiden und mit einer Zehe Knoblauch in Pergamentpapier wickeln. 


  • Beides (Paprika mit der Hautseite nach unten) auf einem Backblech bei 275 Grad (unterste Schiene) in den Backofen geben, nach ca. 5 Minuten Hitze reduzieren. 
  • Derweil Croutons - in zuvor mit Knoblauch aromatisiertem Olivenöl - zubereiten. 
  • Viel Olivenöl erhitzen, darin 2 Zehen gequetschten Knoblauch und eine Handvoll geschälter Mandeln ca 1 Minuten rösten und Mandeln mit Schaumlöffel herausheben.
  • Petersilie, entkernte geröstete Paprika ohne Haut (nyores), Mandeln, en papilotte gegarte Tomaten und Knoblauch mit den Croutons im Menorcischen Mörser ("Mortero cerámica") quetschen. 
  • Wir wollen eine eher körnige Textur, kein Pesto!

Mehr zur "Picada"...

>Die gebräuchlichsten (Zutaten einer Picada) sind Knoblauch (oft als essentiell angesehen), Safran (ebenfalls als essentiell angesehen) und/oder Petersilie. Andere mögliche Zutaten, die seltener verwendet werden, sind Zimt, gekochte Leber (vom Huhn oder Kaninchen ), Schokolade, Kreuzkümmel, Kräuter und andere Gewürze. Die Picada wird im Mörser zubereitet und muss einen grundlegenden Dreiklang enthalten: Mandel, Brot und etwas Flüssigkeit. Mandeln werden geröstet und können durch eine andere Nuss wie Haselnuss, Piniennuss, Walnuss oder eine Kombination davon ersetzt werden. Brot wird in einem Mörser zerkleinert, nachdem es trocken und hart geworden ist, indem es abgestanden, geröstet oder in Öl gebraten wurde. Andernfalls kann eine Art süßer Keks oder Keks verwendet werden. Die verwendete Flüssigkeit ist normalerweise der Kochsaft , aber auch Brühe oder heißes Wasser können verwendet werden (Quelle: https://bigenc.de/w/Picada).<

 

  • Im Olivenöl, in dem die Mandeln angeröstet worden sind, ungesalzene Stücke von Kalmaren braten. Anschließend salzen und pfeffern
  • Fisch (Merluza, Angler) in Maizena wenden, dann im aromatisierten Öl 1 min pro Seite anbraten. Soll nicht durchgaren, sondern innen noch roh sein. Salzen, pfeffern
  • Fisch rausnehmen, in eine Pfanne oder - traditionell - der tönernen Cazuela den gebratenen Fisch geben, Kalmar und - wenn erhältlich - Kaisergranat drapieren 
  • Safran (zuvor z. B. in Alufolie im Backofen bei 50 Grad erhitzen) in die Suppe rühren
  • Mit Suppe übergießen, Granat mit Öl bepinseln und für 5 Minuten in 200 Grad heißen Backofen schieben.
  • In einer Pfanne etwas Fond heißmachen, Lorbeerblatt, zwei zerdrückte Knoblauchzehe zugeben, etwas einköcheln und dann Herzmuscheln zugeben, mit Brandy / Sherry parfümieren.
  • Deckel drauf, köcheln, ab und zu mit geschlossenem Deckel schütteln - ca. 3 Minuten bis die Muscheln sich geöffnet haben, zur Suppe geben. 

14.08.2021

Serviettenknödel

Eigentlich ein Resteverwertungs-Essen.


Brezeln oder Brötchen, die zu hart für den Verzehr geworden sind, werden gewürfelt, in Ei und Milch eingeweicht und in einer Serviette eingerollt in leicht blubberndem Salzwasser zu einer Knödelwurst gesotten. 

Statt der Serviette nutzen wir Alufolie - eine geschmacksneutrale Errungenschaft, die Ende der 60er-Jahre begeistert propagiert wurde:

"Der Trick mit der Alufolie". Aus: Gut bürgerlich kochen (1968), S. 80., Lingen Verlag, Köln



Klassisch ist der Semmelknödel Sättigungsbeilage zum "Schweinernen" - Braten, "Bauernschmaus" oder "Schlachtplatte" - immer mit Sauerkraut. 


So schaut's aus: der Semmelknödel (li.) in seiner ursprünglichen Bestimmung. Aus dem Kochbuch eines unbekannten Autors, das von den inhaltlichen Aussagen her an das Deutschland der 1940er-Jahre erinnert.



Zutaten  

  • 250 g Laugenstangen (3) oder Brötchen vom Vortag, in Würfel geschnitten oder einfach Kaisersemmelwürfel aus der Tüte
  • 1 Zwiebel, fein gewürfelt
  • 1 Büschel glatte Petersilie, davon die Blättchen gehackt
  • 200 ml Milch
  • 3 Eier, davon eines getrennt und das Eiweiß geschlagen
  • eine Prise Mehl
  • Butter zum Auspinseln der Alufolie

 

Zubereitung

1)  Petersilie waschen, trockenschütteln, Blätter von den Stielen zupfen und klein schneiden.



2) Zwiebelwürfeln in Butter oder Sonnenblumenöl in einem Topf mit Deckel kurz glasig dünsten.



3) Petersilie zugeben, noch ca 30 Sekunden mit Deckel mitdünsten, 1 EL Wein zugeben, kurz köcheln lassen und vom Feuer nehmen.


4) In einer großen Schüssel Eier, Eigelb und Milch verrühren.


 
Semmelbrösel hineingeben und vermengen. Ausgekühlte Zwiebel-Petersilien-Mischung dazu, etwas salzen und ca eine Stunde ruhen lassen. Dabei ab und zu umrühren. Die Masse durchweicht langsam.



5) Aus dem Eiweiß einen steifen Eischnee rühren und einheben.


6) Alufolie mit Butter bestreichen, meistens muss man zwei Lagen Folie mit Butter "verkleben", damit die Fläche breit genug ist, die Masse unterzubringen.

7) Masse in die Folien geben, an beiden Seiten eindrehen. Dabei die "Wurst" nicht zusammenkneten und -pressen, denn dann würde der Knödel nicht fluffig. Für den Halt sorgt ja die "Serviette".


Dann für ca 30 Minuten in gesalzenem Wasser sieden lassen. Also nicht kochen (kein Blubbern!), sondern knapp unter dem Punkt, wo das Wasser Blasen machen würde.


U. U. einen Teller oder ein kleineren Topfdeckel auf das Päckchen geben, damit es unter Wasser ist. Während der Kochzeit mal drehen.

8) Vorsichtig auswickeln, rasten lassen!

9) Aufschneiden und in Butter oder Sonnenblumenöl von beiden Seiten anbraten.

02.08.2021

Aubergine verkohlt

Wenigen Früchten ist die Ehre vergönnt, einer Farbe den Namen zu geben: der Apfelsine, the peach, le abricot und - der Aubergine. Ein Farbname, der glaublich in den 70-ern modisch geworden ist. 

Saison der Aubergine ist zwischen Mitte Juli bis Ende September. 



Martin Nordins Buch "Grill Gemüse!" hat mich ermutigt, eine frische, runde Aubergine einfach in die glühenden Briketts des Holzkohlegrills zu legen bis sie äußerlich kohlrabenschwarz war. Von außen sah es dann so aus, als sei das Produkt endgültig zerstört. Einmal in der Mitte durchgeschnitten, erwies sich der Geschmack der Frucht jedoch sofort als sensationell. Ganz anders als man frittierte oder aufgeschnitten gegrillte, mit den üblichen Kräutern übertünchte ausgedörrte Auberginen in Papp-Textur kennt. 



Cool: Twiggy  in Aubergine (Mode ca 1968-1970)

Nämlich stattdessen: saftig, schmackhaft, pur! Einfach nicht wiederzuerkennen! Ein bisschen länger im Feuer wird das Innere cremig wie eine Paste.



Heiß: Aubergine im Thüros-Grill


Zutaten  

  • 1 runde Aubergine pro Person
  • Fleur de Sel

Zubereitung

1) Aubergine mit Schaschlikspieß oder Zahnstocher rundum einstechen. 

2) Zu den glühenden Briketts geben und ca 15 Minuten garen lassen. Dabei wenn möglich einmal wenden. Ein bisschen länger im Feuer wird das Innere cremig wie eine Paste.

3) Aus dem Feuer holen, wenn die Schale verkohlt aussieht und kurz (!) rasten lassen.

4) Halbieren, mit Fleur de Sel salzen und direkt mit einem Löffel verputzen. Besonders lecker ist die rauchig schmeckende Zone unter der verkohlten Schale. 




11.07.2021

Dips - Tzatziki, Romesco und Gremolata

Tzatziki ist für mich die ultimative Griechenland-Assoziation. Es gehört zu Giros und Gegrilltem aller Art. Das zugegebene Wasser dient dazu, den fetten Joghurt etwas leichter zu machen, das Olivenöl dazu, es wieder ein wenig schwerer zu machen. Knoblauchzugabe erfolgt nach Toleranz der beteiligten Personen. Mit dünnen Gurkenscheiben wird aus der Soße eine Vorspeise.


Gremolata beim Dünsten. Zitronenkerne muss man noch herausklamüsern

Die lombardische Gremolata wird herkömmlich nur aus Petersilie, Knofel und Zitronenabrieb gemacht. Eckart Witzigmann nimmt noch Rosmarin und Thymian dazu und lässt sie kurz in Olivenöl dünsten. Schmeckt zu Geschmortem, aber auch sehr gut zu einer frischen Aubergine, die man in die Glut des Grills wirft, bis sie von allen Seiten verbrannt ist. 

Zur Romesco-Soße gibt's einen eigenständigen Blog.

Für alle Soßen gilt, dass sie vor dem Servieren ein paar Stunden im Kühlschrank "abhängen" sollten.




Zutaten Tzatziki ohne Gurken (passt zu Gegrilltem, v. a. zu Oktopus/Calamari und Schweinefleisch)

  • 1 Becher griechischer Sahne-Joghurt 10%, 200g
  • 2 Knoblauchzehen
  • 20 g gutes griechisches Olivenöl
  • 15 g Wasser
  • 1 Spritzer Zitronensaft
  • Salz, Pfeffer
  • Thymian

Zubereitung

  • Knoblauch mit einer Knoblauchpresse in den Joghurt pressen
  • Öl und Wasser dazugeben und kräftig rühren, damit die Soße emulgiert
  • Je nach Prägnanz des Olivenöls soll mehr oder weniger gesalzen werden
  • Pfeffern und 1 TL Thymian dazugeben
  • Mit etwas Zitronensaft abschmecken
  • Wenn eine frisch Gurke im Haus ist, ca 10 cm davon abschneiden, noch mal längs halbieren, mit einem Teelöffel von den Kernen befreien, in dünne Scheiben schneiden und beigeben.
  • Mit Kalamata-Oliven servieren.

Zutaten Gremolata (passt zu Ossobucco oder anderem Geschmortem)

  • 30g Blätter glatter Petersilie
  • Blätter von zwei Thymianzweigen
  • Nadeln eines Rosmarinzweigs
  • 17 Knoblauchzehe
  • 2 TL Olivenöl
  • abgeriebene Schale einer Bio-Zitrone

Zubereitung

  • Petersilie, Thymian, Rosmarin und Knoblauch sehr fein hacken. In Olivenöl kurz garen und nach dem Abkühlen mit Zitronenschale mischen. Halbe Zitrone ausdrücken und dazugeben. Umrühren und kalt stellen.
  • Vor dem Servieren noch mal mit Olivenöl strecken.

19.06.2021

Kalb mit Fisch 1 - Kaliningrader Klopse

Während Leningrad nach einer Volksabstimmung (54 % stimmten für die Umbenennung) seit 1991 wieder nach dem Schutzheiligen des Zaren heißt, Gorki nun Nishnij Nowgorod und Stalingrad sowieso zu recht irgendwie anders, heißt das ehemalige Königsberg, Wirkungsort des großen Immanuel Kants, merkwürdigerweise immer noch nach Michail Iwanowitsch Kalinin, der von 1923-1946 das eigentliche Staatsoberhaupt der UdSSR war. Da ist die Umbenennung wohl vergessen worden... 




Von Kant, dem "großen" Sohn der Ostseestadt, wissen wir aus einer Zeichnung von Friedrich Hagemann, dass er gerne Senf anrührte – ob für die Königsberger Spezialität ist nicht überliefert. Zu seinem Angedenken geben wir der Klopse-Masse jedenfalls etwas Senf bei. 


Kant rührt Senf an

Unser Rezept für Kaliningrader Klopse geht auf Johann Lafer zurück. Die von ihm vorgeschlagene Nutzung von Kartoffelpüreepulver ist irgendwie komisch, funktioniert aber! Seine Idee, die Klopse in Kalbsfond zu garen, ist freilich ebenso subversiv wie lecker. 

 

DOPPEL-RETRO: Johann Lafers modifiziertes "Retro"-Rezept aus Essen und Trinken von Juli 2000


Im ehemaligen Ostpreußen wurden statt Sardellen übrigens auch Salzheringe verwendet. Tim Raue (in Hiekmann, 2018, S. 46f) wolft zusätzlich Kalbsbries oder -zunge mit, um den Fettgehalt zu erhöhen und damit den geschmacklichen Nachhall zu verlängern. Alles ausprobierbar!

Bei uns in Oldenburg gab es zu den Klopsen immer Reis, ich präferiere derweil Kartoffelpüree. Muttis Soße war natürlich keine "Sabayon", sondern eine Bechamel aus Butter, Mehl, dem Kochsud der Klopse und Kapern. So machen wir es hier auch. 

Die klassische Beilage ist und bleibt Rote Bete Salat - auch Tim Raue serviert sie, und - um einen kontrastreichen Teller anbieten zu können, betont er: besonders kalt.



Zutaten 

  • 400g Kalbsfleisch, zweifach gewolft
  • 2 kleine Zwiebeln, gewürfelt
  • 1 große Knoblauchzehe, fein gewürfelt
  • 6 Sardellenfilets, am liebsten aus der Dose von SPAR (kalabrische!)
  • Kapern
  • 10 Koriandersamen, ohne Fett geröstet und anschließend gemörsert
  • 1 TL Oyster Fischsauce
  • Petersilie
  • weißer Pfeffer
  • 20 g Kartoffelpüreepulver
  • 25g  Schlagsahne oder 40 g Smetana
  • 1 Ei
  • 1 TL Dijon-Senf
  • 600 ml Kalbsfond
  • 30 ml Essig
  • 10 g Mehl
  • 40 g Kapern

Zubereitung

  • Für die Klopse Fleisch zunächst durch die weite Scheibe des Fleischwolfs drehen, dazu immer mal Sardellen und ggf. Kapern beigeben und mitwolfen - das Produkt dann noch mal durch die enge Scheibe des Wolfs quetschen. 
  • Zwiebelwürfel in Butter andünsten, später Knoblauch und Petersilie, mit Fischsoße ablöschen
  • Koriander anrösten und mörsern
  • Koriander, Zwiebel-Knoblauch-usw.-Masse abgekühlt zum Fleisch geben
  • Dazu Sahne/Smetana, weißen Pfeffer; Ei und Kartoffelpüreepulver
  • Gut vermengen und mit den Händen kneten
  • Klopse formen

Was hielt Krupskaja (hier im Bild beim Stören der Zubereitung) von Kalinin?

  • 2 EL Butter erhitzen, 2 Sardellenfilets darin zerdrücken. Mehl dazugeben, mit einem Schneebesen rührend anschwitzen, mit einem EL Essig ablöschen, dann Kalbsfond dazugeben. Rühren
  • Klopse einlegen, immer mal wieder schwenken, damit die Klöpse rundum garen. Noch ca. 5 Minuten unter dem Siedepunkt 10 Minuten simmern lassen. 

Klöpse garen im Kalbsfond

  • Klöpse vorsichtig rausnehmen und warmstellen.
  • Kochsud ordentlich ein köcheln lassen, Kapern zugeben.


Und wenn man noch Musik zu den Klopsen hören will, dann biete sich das kleine Berliner "Klops-Gedicht" ("Ick sitze da und esse Klops', uff eenmal klopp's...") an, das Kurt Weill 1925 vertont hat.


Quellen 

Hiekmann, Stefanie (2018). Nachgefragt - 30  Spitzenköche verraten ihre Küchengeheimnisse. Igling: Edition Michael Fischer.



12.06.2021

Halászlé

Halászlé ist so etwas wie das pescatorische Pendant zum Gulyas: Scharf muss sie sein und papriziert. 

Pannonische Idylle: über loderndem Lagerfeuer werden von Hirten mit lustigen Mützen in einem am Dreifußgestell hängenden Kessel zunächst Zwiebeln angeschwitzt, Paprikapulver und getrocknete Schoten zugegeben, dann mit Wasser abgelöscht. Mangels Meereszugangs greift man zu Süßwassergetier: Geschröpfte Karpfen, Welse, Brasse - was halt so anbeißt.

Und das lässt man nachher auffällig lange kochen - einige Spezialisten sprechen von drei Stunden.

Naturgemäß wird jeder Fisch dann ziemlich zerfallen sein. Und deshalb wird es dann am Lagerfeuer ein ziemliches Klamüsel: größere Teile muss man aus dem Kessel fischen - die Tiere werden dann zum zweiten Mal geangelt. Die restlichen Bestandteile werden durch Flotte-Lotte-ähnliche Siebe gestreift und dem Kessel wieder zurückgegeben. Das ist alles in allem etwas beschwerlich. Dann gibt man noch bessere Teile in die Suppe und lässt sie noch mal garen. Im Hintergrund spielt jemand einen Csárdás. Und fertig!

Wir machen es etwas praktikabler...


Wir nutzen unseren eingefrorenen Fischfond oder bereiten aus den Karkassen der hier zu verwendenden Fische einen frischen Fond zu.


Zutaten Fond

  • Fische, am besten Süßwasserfische. Klassisch Karpfen, Wels, irgendwelche Brassen. Keinen Lachs! Seehecht habe ich ausprobiert, hat natürlich nichts mit dem Original zu tun - geht auch sehr gut.
  • 1 1/2 l Fischfond
  • 2 EL Gulaschpaprika-Pulver
  • Tatlı Biber Salçası - mildes Paprika-Mark aus dem Kurdenladen! Zugegebenermaßen nicht sehr Ungarisch, aber immer gut zum Intensivieren eines frischen Paprikageschmacks
  • 1 große Gemüsezwiebel
  • Knoblauch nach Geschmack
  • frische rote Paprika, in kleine Würfel geschnitten zum "Drüberstreuen"
  • wenig frischen Rosmarin, gehackt
  • 1 Lorbeerblatt
  • festkochende Kartoffeln - die nehmen wir, weil sie die Schärfe etwas moderieren und weil sie mich an Gulaschsuppe aus der Dose erinnern. In Ungarn wird Fischsuppe eher mit sog. Streichholznudeln (gyufatészta) serviert, die man seperat gekocht hat - und vor dem Servieren zur Suppe gibt.

Zubereitung

  1. Karpfen muss man schröpfen, damit die vielen Gräten zerstört werden. Die Köpfe und Schwänze nehmen wir für den Fond. Als Einlagen schneiden wir "Steaks" oder filetieren den Fisch und schneiden ihn in dann etwa 8 cm langer Stücke.
  2. Sollten wir einen Fond im Tiefkühler haben, erhitzen wir diesen und lassen die Köpfe und Schwänze oder Karkassen der Fische, die wir nun verwenden wollen, darin eine halbe Stunde simmern.
  3. Haben wir keinen Fond, so bereiten wir aus diesen Abschnitten einen Fond zu, so wie hier.
  4. In einem breiten Topf die in ca 4 mm dicke Scheiben geschnittene Kartoffel in Olivenöl kross anbraten, vielleicht mit etwas Rosmarin bestreuen, noch mal durchrösten und wieder herausnehmen. Beiseite stellen.
  5. Noch mal Olivenöl in den Topf geben und darin zuerst die gewürfelte Zwiebel, dann den zerkleinerten Knofel andünsten.
  6. Paprikapulver dazugeben und gut umrühren. Rasch etwas vom Fond dazugeben und einköcheln lassen. 
  7. Wenn vorhanden Paprikamark, z. B. das türkische biber salçası, dazu und noch mal anrösten und schließlich den ganzen Fond einfüllen. Salzen,  Lorbeerblatt, getrockneten Paprika dazu, aufkochen lassen und ca. eine halbe Stunde mit Deckel simmern lassen bis die Zwiebeln weich sind. 
  8. Dann getrockneten Paprika und Lorbeerblatt herausfischen und den Fond pürieren.
  9. Kartoffelscheiben hinzugeben.
  10. Gesalzene Fische einlegen, Suppe gerade mal eben aufwallen lassen, dann sofort Topf vom Herd nehmen und ziehen lassen, bis der Fisch gar ist.
  11. Vor dem Servieren kontrollieren, ob die Kartoffeln gar sind und alles noch mal erhitzen.
  12. Wenn man noch sehr kleine Würfel einer frischen roten Paprika darüberstreut, hat man noch etwas Süße und etwas Biss beim oralen Konsum.

Und so sehr uns die Ungarn politisch auf die Eier gehen, bedenken wir auch die großen Kinder dieser Region - z. B. Bartók und Liszt! Musik zur Suppe


30.05.2021

Fischfrikadelle

Der "Bremer" von Nordsee!

Das war schon in den 70er-Jahren ein beliebter Snack, wenn man mit dem Hollandrad "in die Stadt" gefahren war  - also in die Oldenburger Fuzo mit ihren Geschäften und Kneipen und Eisdielen: da war dann die kalte panierte Fischfrikadelle im Brötchen mit Salatblatt, Ketchup und gerösteten Zwiebeln Pflicht.



Frikadellen vom Köhler. Oben: natur; Unten: paniert

Zuhause machte man sowas nicht, höchstens briet man die tiefgekühlten Fischstäbchen von Käptn Iglo. 

Das folgende Rezept ist in seiner Einfachheit aus eigener Hand schnellgemacht und mit dem TK-Seelachs (nddt.: Köhler) ein preiswerter, köstlicher Picknickbestandteil - etwa am ersten Samstag im Mai, dem Weltfischbrötchentag

Man kann natürlich edleren Fisch wählen (z. B. Scholle), mit anderen Gewürzen spielen, man kann die Frikadelle auch panieren...

Aber so ist schon gut!


Zutaten  

  • 1 kg Tiefkühl-Seelachs ("Pollack"), am Vortag aufgetaut
  • 2 Zwiebeln, gewürfelt - ergibt ca. 150g
  • Butter, von einem Halben-Pfund-Butter-Block 1cm abgeschnitten zum Anschwitzen der Zwiebeln
  • 2 Zehen Knoblauch, ungeschält mit einem Kochmesser flachgedrückt
  • 8 Fenchelsamen, gemörsert
  • 10 Koriandersamen, gemörsert
  • 1 TL Paprika, rosenscharf
  • etwas Abrieb einer Zitronenschale
  • Salz, Pfeffer
  • 100 ml Riesling
  • 1 Ei Gr. L
  • 50g Semmelbrösel
  • alte Brotreste
  • krause Petersilie nach Geschmack - aber eher mehr als weniger!


Gleich wird gewolft

Zubereitung

1) In Butter Zwiebelwürfel bei sanfter Hitze und mit Deckel drauf andünsten, nach ca. einer halben Minute ungeschälte zerdrückte Knoblauchzehen hineingeben,  bedeckt dünsten bis Zwiebeln leicht bräunlich sind.

2) Koriander- und Fenchelsamen mörsern und dazugeben, gehackte Petersilie zugeben, noch mal gemeinsam ohne Deckel ca 1 Minute aufheizen, Riesling darüber gießen. 

3) Bei immer noch sanfter Hitze ziehen lassen - wieder mit Deckel. Nach ca. 5 Minuten sanfter Garung Deckel abheben.



4) Knoblauch rausklamüsern, noch mal kurz und heftig aufköcheln, Zitronenabrieb dazu - und von der Platte nehmen.

5) Aufgetaute Fischfilets in kleinere Stück schneiden und mit dem Fleischwolf wolfen. Wenn alles gewolft ist, mit ein wenig trockenem Brot die Wolfspule "säubern" und auch in die Fischmasse geben.



Jetzt ist gewolft worden


6) Fischmasse mit abgekühlter Zwiebelmasse verrühren, Ei einrühren und nach Gefühl Paniermehl zugeben. Mit (wenig) Salz, Paprika und Pfeffer abschmecken.



7) Eine Viertel Stunde gehen lassen, damit die Semmelbrösel die Flüssigkeit aufsaugen. Frikadellen formen, nochmals ruhen lassen. Frikadellen nicht mehlieren!

8) In Butterschmalz oder Sonnenblumenöl anbraten. Erst wenn eine Seite gut angebraten ist, vorsichtig wenden und auch von der anderen Seite ohne viel Drehung anbraten. 


Nun muss sich alles wenden!






25.04.2021

Chowder mit Amur

In unserem Beitrag über die Taschenkrabbe klagte ich bereits über deren Nichterhältlichkeit und erwähnte die amerikanische Zubereitungsart des Chowder.

Herman Melville widmet sich in seinem Roman Moby Dick ausgedehnt der Beschreibung des Genusses dieses Eintopfs mit Muscheln und Kabeljau durch den Matrosen Ishmael vor dem Einstechen in See.

"Fishiest of all fishy places was the Try Pots, which well deserved its name; for the pots there were always boiling chowders. Chowder for breakfast, and chowder for dinner, and chowder for supper, till you began to look for fish-bones coming through your clothes." 

 


Rockwell Kent: Illustrationen zu Moby Dick. Zweitausendeins (2007)

Zuletzt habe ich anlässlich unserer Angelversuche in Waldviertler Zuchtteichen gelesen, dass der Amur - vulgo Graskarpfen - im Geschmack den besten Krabben beikomme.



So schaut er aus - der Weiße Amur! Mit dem heimischen Karpfen ist der aus Ostsibirien stammende Vegetarier, der gern Mais isst, nicht verwandt.

Das eröffnet natürlich neue Perspektiven, da dieser frisch bei Beachtung professioneller Montage- und Drillregeln gewiss einfacher erhältlich ist als die Taschenkrabbe. 

In unserem Rezept wollen wir das für Chowder typische Einbrenn-Gefühl vermeiden, nehmen als Grundlage für die Kartoffelsuppe Fischfond, vermeiden die Beigabe von Milch. Mais überlassen wir dem Tier beim Fang. Wir passieren die Gemüseeinlage zwar zur Bindung der Suppe wie im Original, stellen aber parallel auch eine separat angeröstete Gemüsebeilage her, dazu knusprigste Speckwürfel, die dem Gericht eine abwechslungsreiche Textur bescheren.


Zutaten  

  • Amur-Steaks, Oberseite geschröpft und der Kopf des Fisches, längs halbiert
  • 150 g Weißer Speck ("Surspeck" oder Lardo)
  • 2 Zwiebeln, nudelig geschnitten
  • 25 g Möhrchen in Würfel (ca 5mm Kantenlänge)
  • 50 g Fenchel in Würfeln (ca 5mm Kantenlänge)
  • 150 g Kartoffeln, gewürfelt (ca 5 mm Kantenlänge)
  • 1/16 l Riesling

Für die Suppe

  • 1 l Fischfond
  • 350 g Kartoffeln, in größeren Stücken
  • 75 g Möhrchen in dünnen Scheiben
  • 150 g Knollensellerie, gewürfelt
  • 1 Zweig Rosmarin, 10 cm
  • Petersilie und/oder Fenchelgrün zum Garnieren

Zubereitung

1) Aus dem Fischkopf (längs halbiert) einen Fischfond köcheln. Dazu gut auswaschen, vor allem die Kiemen, die beim Ausspülen kein Blut mehr aussondern sollten. Mit 1,5 l kaltem Wasser bedecken und sanft aufkochen lassen. Wenn der Fond aufgekocht ist, Schaum abheben und sanft sieden lassen. Nach einer halben Stunde Fischkopf herausnehmen, durch ein feines (Tee-)Sieb filtrieren. Den verbliebenen Fond mit Gemüse(abfällen) nach Wahl - jedenfalls aber Zwiebel und zerdrücktem Knoblauch -, etwas Salz, weißen Pfefferkörnern und Lorbeerblatt aufkochen und solange köcheln wie gewünscht. Übrig bleiben sollte ca 1 l Fond.

2) Währenddessen Speck in Würfel von ca. 1 cm Kantenlänge schneiden.

3) Speck mit 50 ml Wasser in einem Bräter mit Deckel geben und bei leichter Hitze köcheln lassen. Wenn das Wasser verdampft ist, den Speck braun und knusprig werden lassen, immer noch mit Deckel drauf. Das dauert nach Verdampfen des Wassers knapp 10 Minuten. Wenn der Speck wirklich knusprig ist, auf Haushaltstuch geben und zur Seite stellen (diese Zubereitungsart folgt einem Rezept aus Falstaff 01/2020).

4) Amursteaks ggf. auf der Oberseite schröpfen und im aufgewärmten Fischfond gar ziehen lassen. Aus dem Fond heben, salzen und pfeffern, Riesling drüber gießen und bedeckt zur Seite stellen. 

5) Im Fond Kartoffelstücke, Möhrchen, Sellerie und Fenchel mit dem Rosmarin ca 25 Minuten im Topf mit Deckel weich kochen.

6) Im übrig gebliebenen Fett Würfel von Fenchel, Möhrchen und Kartoffeln mit einer Messerspitze Kümmel anbraten. Dabei salzen und pfeffern, ca 2 Minuten garen. Aus dem Fett heben und auf Küchenpapier abtropfen lassen. Als Einlage zur Seite stellen.

7) Inhalt der Suppe ohne Rosmarin durch eine Flotte Lotte drehen und im Fond neuerlich aufköcheln. Evtl. mit etwas Wasser verdünnen und unter Rühren kurz aufkochen.

8) Fischstücke enthäuten und in mundgerechte Stücke zupfen.

9) Fisch mit den Beilagen in der Suppe warm werden lassen, zuletzt Speckwürfel darüber geben. Mit Petersilie oder Fenchelgrün garnieren.





17.03.2021

Kalbsfond - das Gold des Kochens

Kalbsfond sollte man irgendwie immer in der Nähe haben. Kann  man in kleineren Portionen gut einfrieren und als Basis für Soßen benutzten - gerade für kurzgebratene Fleischteile, die bei der Zubereitung selbst keine Substanzen übrig lassen, die man zu einer Soße weiterverarbeiten könnte - Steaks, Krustenbraten aus dem Backrohr, eben alles, was nicht geschmort wurde.

Auch zu Hummer oder mediterranem Fisch, sogar Kabeljau wurde Soße auf Kalbsfondbasis schon erfolgreich gegeben. Über Kartoffelprodukten ist sie ohnehin eine Offenbarung.



Man braucht in erster Linie Zeit - dann ist das Herstellen dieses kultischen Puzzleteils der französischen Hochküche keine Hexerei. 

Die Jus in der Hohen Küche wird in mehreren Prozeduren hergestellt - immer und immer wieder reduziert. Unser Produkt entspricht am ehesten der "ersten Stufe" einer klassischen Jus. Das dauert...



Zutaten  

  • ca 3 kg Kalbsknochen, gemischt, mit Mark und auch Fleischresten - beim Metzger schneiden lassen, vielleicht auch einen Schwanz und eine Beinscheibe dazu - was es halt gibt
  • 1 Kalbsfuß, längs geteilt und mehrfach quer zerschnitten
  • In etwa die gleiche Menge an Gemüse - je nachdem, was vorrätig ist. Gerne mit dabei: Zwiebeln, Möhrchen (passen hier ganz gut, weil sie Süße abgeben, was zum Kalb ganz gut passt), gelbe Möhren, Bleichsellerie, Knollensellerie, Fenchel, Champignons, Knoblauch, Petersilienwurzel und -stängel 
  • Gemüsetomaten (zerhackt), Tomatenmark
  • 1/2 l Pinot Blanc oder Chardonnay
  • Gewürze: Thymianzweige, 20 Pfefferkörner, 2 Lorbeerblätter, 10 Pimentkörner


Zubereitung

1) Knochen und Kalbsfuß ohne weiteres Fett in einem hohen (Emaille-)Bräter in den 220 Grad heißen Backofen schieben und eine Stunde lang wirklich dunkelbraun werden lassen. Dabei ein oder zweimal wenden, damit die Knochen wirklich von allen Seiten rösten.

Im Backofen werden die Knochen bräuner und bräuner




2) Knochen in einen großen Topf geben.

3) Aus dem Bräter Fett abgießen, zerkleinertes Gemüse (ohne Tomaten) zugeben, auf dem Herd bei großer Hitze unter Rühren und Zugabe von reichlich Olivenöl im Bräter anrösten.



4) Tomatenmark zugeben, unter Rühren anrösten, gehackte Gemüsetomate zugeben, alles umrühren und dann mit dem Weißwein ablöschen. Immer ein bisschen Wein, dann köcheln lassen, dann wieder nachschütten, einköcheln lassen - diese Prozedur soll ca. 10 Minuten dauern und sorgt - nach Ansicht des großen Meisters Dieter Müller - dafür, dass "der Fond später eine schöne Farbe erhält" (2005, S. 333).

5) Gemüsemischung aus dem Bräter zu den Knochen in den Topf geben und mit ca. 4l kaltem Wasser aufkochen lassen, wenig Salz dazu. Das ist - nach Kolja Kleeberg - nötig, um "um die Aromen aus den Knochen zu ziehen" (2008, S. 27) und Deckel drauf!

6) Langsam aufköcheln, wenn das Ganze leicht brodelt, Schaum abschöpfen, Hitze reduzieren. Immer mal wieder Schaum abschöpfen und erst wenn sich kein Schaum mehr bildet, Pfefferkörner, Lorbeer, Gewürze und Petersilienstängel zugeben. Wenn man diese Kleinteile vorher zugibt, schöpft man sie mit dem Schaum ab, was wenig Sinn gibt. Dann mindestens 3 Stunden auf kleinster Flamme am Herd lassen (bedeckt). Das ganze darf gerne auch über Nacht vor sich hinköcheln. Bei mehr als 9 Stunden ist aber wohl nicht mehr viel rauszuholen aus den Produkten. Man kann natürlich immer noch mal was hineinwerfen, um dem Geschmack einen weiteren "Kick" zu geben - Lebkuchen, Schweinerippchen, Gewürze (Wacholder, Piment).

7) Nach getaner Arbeit durch ein Sieb gießen und erkalten lassen. Der Jus geliert. Fett von der Oberfläche abheben und dann portionsweise einfrieren, einwecken oder weiter verarbeiten.

20.02.2021

Peterburger Armenspeisung? - Befstroganov

Das berühmteste russische Rezept geht auf die Salzhändlerfamilie Stroganov, die bei der Besiedelung Sibiriens eine führende Rolle spielte, zurück. Von der wird berichtet, dass sie dieses Gericht von ihrem Koch entwickeln ließ, um es – im Sinne der heutigen „Tafeln“ – im Garten des barocken Stadtschlosses am Newski Prospekt (Строгановский дворец) kostenlos an Arme zu verteilen: „In Streifen geschnitten und gebraten ließ sich das zarte Rinderfilet besser auf mehrere Teller verteilen“, erklärt Marcus Schmid in seinem Reiseführer über Leningrad (2017, S. 203).


Sturm auf das Winterpalais: statt Almosen im nahegelegenen Stroganov-Palais holt sich die Arbeiterklasse direkt, was ihr zusteht. 1920 hysterisch statt historisch korrekt nachgestellt von Николай Николаевич Евреинов

Mit dem Wissen um diesen vermeintlich philantropischen Hintergrund isst sich das edelste Stück vom Rind doch gleich mit viel besserem Gewissen!



Eine andere – gleichermaßen glaubwürdige – Darstellung zur Entstehung des Gerichts ist von Friedrich Hollaender vorgelegt worden: Demnach habe der eifersüchtige Gatte einer für Seitensprünge überaus offenen Frau seine Wut über deren Untreue an einem Stück Fleisch ausgelebt.
Hier in einer Version der legendären Helen Vita

Heda, Wirt! Bring mir ein Filet - aber roh! So!
Und dazu ein großes Messer
Kann ich zeigen meinen Freunden besser
Mit Messer
Was ich gemacht aus Schmutschkinoff
Hchuit! Hchuit!
Und mit dem Messer - hei-juchhe
Sticht Stroganoff in das Filet
Und kreuz und quer
Und hin und her
Sieht gar nicht wie Filet aus mehr
Ohne Lücke
Haut er es in tausend Stücke
Voller Wut
Ist das gut?
Das is gut!

Man stößt in russischen Gerichten immer auf das Milchprodukt „Smetána“. In alten deutschen Rezepten auf den verwandten Begriff „Schmand“. Das Produkt finden wir in Österreich nur in russischen oder polnischen Läden. Es ist fett (bis zu 42 %) und cremig und nicht stichfest wie Creme fraiche oder Saure Sahne („Sauerrahm“).




Eine Russin im Exil empfiehlt die Selbstherstellung von Smetána: „Es ist nur Milch oder Sahne mit Joghurt gemischt… Jede Nacht, bevor ich ins Bett gehe, lasse ich es einfach in einem Glas stehen, und am Morgen ist es fertig.“ 
So machen wir es auch – Schlagsahne mit fettem griechischen Joghurt mischen und (nicht im Kühlschrank!) ein Paar Stunden abgedeckt stehen lassen.
Im obigen Rezept werden neben Filet und Schmand nur Zwiebel, Mehl, Pfeffer und Salz benutzt, das Produkt mit Dill bestreut.
Wir nehmen die Hollaenderschen Zutaten:

Was soll ich hineintun noch
Väterchen Koch? -
Von mir aus, was du willst tu rein
Frisst doch kein Schwein:
Ob saure Sahne, Zwiebelring
Ob Paprika, ob Pfefferling!

Pilze - gerne Steinpilze - tauchen in den meisten Rezepten auf, Paprika wohl eher als Pulver denn als frische Schote.
„Die Küche in Rußland“, ein TIME-LIFE-Buch aus 1979 empfiehlt:



Alles falsch! 30 Minuten, um Zwiebel und Pilze "weichzugaren" sind ebenso zerstörerisch wie das Kochen der Filetstücke bis zum Hartwerden.

 

Anstatt das Filet zu zerhacken braten wir es - gesenft und gesalzen - im Ganzen, lassen es rasten, danach erst schneiden wir es, um es kurz vor dem Servieren in der fertigen Soße zu erwärmen. Das lange "Kochen" in der Soße, wie es in alten Originalrezepten zelebriert wird,  macht das edle Produkt jedenfalls eher zäh – das ist es auch, was die Armenspeisungs-Legende nicht besonders glaubhaft macht.

Befstroganov soll immer etwas säuerlich schmecken, das gelingt durch den Schmand, einige würzen aber auch mit Zitronenzesten oder gar -saft nach. Serviert wird mit Kartoffelpüree oder -rösti, garniert mit Dill.


Zutaten 

  • Rinderfilet-Spitzen (zimmerwarm, also ca. 2 Stunden vor der Zubereitung aus dem Kühlschrank holen)
  • scharfer Senf - für Experimentierfreudige wie im oben dargestellten 
  • Champignons oder edlere Pilze
  • 1 Zwiebel, halbiert und in Scheiben zerschnitten
  • ein Gläschen Rotwein
  • Smetána
  • Dill
  • "rosenscharfer" Paprika
  • Zitronenzesten


Zubereitung

  • Filetspitzen sind preiswerter als das Mittelstück, haben aber den Nachteil, das sie - ihrem Namen gerecht werdend - auf einer Seite breit, am anderen Ende spitz auslaufen. Wenn wir das Stück als Ganzes garen wollen, verwenden wir den Schmetterlingsschnitt um ein Bratstück etwa gleicher Dicke anzufertigen. 
An der breiten Seite schneiden wir das Fleisch in der Mitte waagrecht ein etwa 2 cm vor der Spitze und klappen es dann um.

 

Schmetterlingsschnitt

  • Filet mit Senf einreiben und salzen.
  • Öl gut erhitzen, Filet in die Pfanne geben und ca. 1 Minute scharf anbraten
  • Umdrehen, Pilze und Zwiebeln dazugeben und wiederum 1 Minute anbraten und pfeffern. Kerntemperatur an der dicksten Stelle sollte 50 Grad betragen, dann aus der Pfanne nehmen und in Alufolie wickeln.
  • In die Pfanne Paprikapulver zugeben, kurz anrösten lassen, mit Rotwein ablöschen und Smetána dazu. Bei großer Hitze einkochen lassen und mit etwas Zitronensaft und -zesten abschmecken.

Anbraten, Pilze und Zwiebeln - Paprizieren - Smetana

  • Kurz vor dem Servieren Filet in ca 4mm dicke Scheiben schneiden und in die heiße Soße geben. Sofort servieren und mit Dill bestreuen.




26.01.2021

Chicken Vindaloo

Vindaloos sind eine Curry-Variante aus den portugiesischen Kolonialgebieten um Goa, die süß-sauer und im Original bösartig scharf daherkommen. Dabei sorgen Tamarinde und Essig (<port. vinaigre>) für Säure und Haltbarkeit und Knoblauch (<port. alho>), Ingwer und Chili für die Schärfe. Es wird - unüblich für Indien - traditionell mit Schweinefleisch zubereitet.


Essig, Tamarinde und Rohrzucker - "Broken Sööt" auf indisch


Unser Chicken-Vindaloo ist von vorn bis hinten selbstgemacht. Natürlich kann man eingeweckten Fond benutzen und auch eine fertige Curry-Paste aus dem Glas. Das Geheimnis des indischen Curry eröffnet sich aber erst, wenn man - nach der mühevollen Arbeit des Zwiebelhackens - die Gewürze selbst mörsert, mahlt und anröstet und sich beim Zusammenmengen nach und nach die typischen Gerüche entfalten. 

Wir folgen bei der Zubereitung der Curry-Basis <ind. daag> weitgehend dem lehrreichen Buch "Currys - Das Herz der indischen Küche" von Camellia Panjabi. 


Zutaten 

  • 1 Hähnchen entbeint
  • 2 EL Koriandersamen
  • 2 TL Kreuzkümmelsamen
  • 2 TL Bockshornkleesamen, vielleicht weniger
  • 3 TL schwarze Senfsamen
  • 1 EL gemahlener Zimt
  • 1 TL Kardamomsamen
  • 40 ml Weißwein
  • 75 ml Apfel- oder Birnenessig
  • 5 TL braunen Rohrzucker
  • 1 TL Tamarindenkonzentrat
  • 1/2 kg scharfe Zwiebeln
  • 6 EL Rapsöl (traditionell Ghee)
  • 40g geschälten Ingwer
  • 4 Knoblauchzehen
  • 2 Karotten
  • 1 l Hühnerbrühe
  • 1 TL Tomatenmark
  • 1 Dose Tomaten
  • 2 große Chilischoten, getrocknet - wenn's scharf sein soll mit Samen, ansonsten diese vorher auslösen und nicht verwenden
  • 1/2 kg festkochende Kartoffeln, geschält  und in mundgerechte Stücke geschnitten
  • 1 kleine Packung TK-Erbsen

Zubereitung Curry-Basis

  • Gewürfelte Zwiebeln in 6 EL Rapsöl anrösten, ca 15 Minuten, zunächst mit Deckel, dann ohne, bis sie deutlich gebräunt sind. 
  • Währenddessen 2 EL Koriander in einer unbeschichteten Pfanne ohne Öl 2 Minuten anrösten, Dann 2 TL Kreuzkümmel und Bockshornkleesamen dazugeben
  • Nach ½ Minute 3 TL Senfsamen dazu, Hitze reduzieren und rösten bis sie hüpfen und knistern.
  • Kardamom nicht rösten, im Mörser etwas zerkleinern und dann mit den gerösteten Gewürzen in der Kaffeemühle pulverisieren. Gemahlenen Zimt dazugeben.

Zubereitung einer/s Daag. Von li. n. re: gebräunte Zwiebeln, Ingwer/Knoblauch und Gewürze; dazu Tomatenmark; dazu Tomaten; dazu Brühe und Tamarinde, Essig und Zucker

  • Dann fein geschnittenen Ingwer und Knoblauch dazugeben, kurz mitdünsten.  Gewürzmischung dazu, dann Tomatenmark. Kurz anrösten. Mit einer Dose Tomaten und 1l Brühe ablöschen.
  • Aufkochen, mit 1 EL Tamarindenpüree, 5 TL Zucker und Essig würzen. Mit einem Mixstab gründlich pürieren.


Zubereitung mit Fleisch

  • Derweil in etwas Öl die gepfefferten und gesalzenen Hähnchenkeulen und Flügel von beiden Seiten anbraten

Daag pürieren, Broiler braten

  • In die, das oder den Daag geben, alles mit ½ TL Salz und 2 trockenen Chilischoten (ganz) würzen.
  • Kartoffeln  (ca 2 cm-Würfel) dazugeben, nachsalzen
  • 1 TL Kurkuma einrühren, aufkochen lassen und mit Deckel ca 20 Minuten auf leichter Hitze gehen lassen. Wenn die Masse zu dick wird, noch Wasser zugeben. 
  • Die feineren Stücke des Huhnes (Brust, ausgelöste obere Keule) werden gesalzen, gepfeffert, in Butter angebraten und zum Schluss bis zur Garung mit der Basis-Vindaloo (und der darin gegarten Keule) geköchelt. 
  • Zum Schluss TK-Erbsen rein und mit frischem Chili nach Geschmack fein gewürfelt schärfen.


...ein Rezept für vegetarisches Curry und zu beidem passenden gewürzten Reis hier