18.04.2020

Solei - das Kleinod aus dem Hungerturm

Soleier kennt man in unserer Familie ja vor allem als Osterschmaus nach dem Anpecken der gefärbten Eier - Spitz auf Spitz, Arsch auf Arsch, Spitz auf Arsch!

In Nordrhein-Westfalen und Berlin gehörten Soleier aber bis weit in die 70er-Jahre zu den ganzjährigen Angeboten ortsansässiger Kneipen. Am Tresen stand entweder ein hohes Weckglas mit in Sole eingelegten gepellten hartgekochten Eiern. Oder - in Berlin - war das Solei ein Angebot zwischen "Buletten", Würstchen und Schmalzbroten in einem von Eiswasser gekühlten "Hungerturm" für den kleinen Hunger bei Bier und Schnaps.


"Glücklich ist, wer verfrisst, was nicht zu versaufen ist"  -

Heinrich Zille. Berliner Kneipenszene um 1910.
Im Hintergrund auf der Theke ein "Hungerturm"

Oral history...

Ich habe gut 45 Jahre hinter der Theke gestanden und kenne mich ein wenig aus“, bekennt die 80-jährige Maria Brinckwirth: „Also bei uns wurden die Eier vorher gepellt. Gegen den Abfall auf der Theke waren mein Mann und ich fies. Und wir haben die Eier nur in eine Wasser-Salz-Mischung gegeben. Das Verhältnis hatte mein Mann im Gefühl ... Egal, wichtig ist ja die Verzehrzeremonie. Da muss erst das Ei von oben nach unten durchteilt werden. Dann werden die Dotterhälften mit einem Löffel herausgepult. In die Vertiefungen träufelt man dann mit viel Gefühl Öl und Essig sowie Salz und Pfeffer. Und dann kommt die große Frage, ob der Senf mit in die Kuhle darf oder oben auf die wieder eingesetzte Dotterhälfte muss“, deutete Maria Brinck­wirth einen regelrechten Glaubenskrieg unter den Soleier-Fans an.
Doch Hauptsache, die delikate Fracht landete mit einem kräftigen Happs auf einmal im Mund. „Ich meine, als Gastwirtin macht man so einiges mit, nicht nur bei der wichtigen Senffrage. Da war ich Eheberaterin, Seelsorgerin und Sorgentelefon in einer Person. Manchmal half nur, die Ohren auf Durchzug zu stellen“, kann sich Maria Brinck­wirth noch gut an die Jahre hinter dem Tresen erinnern.
Aber damit ist das Kapitel Soleier noch lange nicht ausgeschlürft. Schließlich gibt es da noch die Angedätschte- Eierschalen-Fraktion. Und für einige reicht das stets nicht-jodierte Salz zum wahren Genuss allein einfach nicht aus. Da muss vorher Essig und Wasser mit Lorbeerblättern und Majoran aufgekocht werden. Erst dann kommen die Eier mit den extra herbeigeführten oder schon vorhandenen Schalenfehlern ins große Glas. Darübergestreut wurden Pfefferkörner, bei Bedarf auch Senfkörner und/oder getrocknete Wacholderbeeren – auf jeden Fall mindestens zwei Zehen Knoblauch und bei manchen auch rote Zwiebeln. Dann den gekochten Sud über alles gekippt und bis zum Rand nachgegossen. Beim Abkühlen rangen einige Eier schon nach Luft und schwammen freiwillig an die Oberfläche. Aber Achtung, das kann auch auf zu viel Salz in der Tunke hinweisen. Doch egal, ob gepelltes oder geknicktes Ei – in Sachen Salzlake gibt es mehr als eine Meinung.
„Normalerweise sagt man zwischen vier und sechs Gramm Salz auf einen Liter Wasser“, weiß Manfred Biermann vom gleichnamigen Eierhof. Auch er und seine Frau Elisabeth stehen dem „Mann von der Zeitung“ hilfreich zur Seite als dieser in Erwartung des hoffentlich schmackhaften Endprodukts zum Selbstversuch und zur Tat schreitet.
Eine Hälfte der gekochten Eier landet in Maria Brinck­wirths Salzlake, die andere von kräftiger Hand angedätscht, in der Essig-Salz-Gewürztunke. Andy Roche, Wirt in „Paddy’s Irish Pub“, jene Örtlichkeit, die früher die alte Ochtruper Gaststätte „Schulte Mesum “ mit dem legendären Heiko beherbergte, stellte Theke und Ambiente mit irischen Langmut und Humor zur Verfügung. Und siehe da, für ein paar Augenblicke war es beinahe so wie früher: Neben Bier und Korn langweilte sich ein schmuck gefülltes Soleierglas auf dem Tresen. Fehlte nur noch der alte Hungerturm, also die kleine Vitrine mit Buletten, Mettendchen und Käsebrötchen, deren Scheiben sich schon gen Himmel bogen.
Übrigens, „Hardcore-Solies“ lassen die Eier so lange ziehen, bis ein leicht schwefliger Geruch aufsteigt. Das kann dauern. Die „normalen“ Soleier dürften ab Mittwoch probierbar sein. Der „Mann von der Zeitung“ ist schon gespannt.

Es existiert ein Rezept von Jahrhundert-Koch Eckart Witzigmann und Tim Mälzer. Dieses Traumpaar schwört offenbar auf die Essigzugabe.

Wir hingegen köcheln ohne Essig und Zucker, pecken die Eier auch nicht an - das würde ja den Spaß vor dem Verzehr verderben - und vertrauen darauf, dass die aromatisierte Solelösung durch die Schale diffundiert. Auch verzichten wir (ganz puristisch) auf zusätzliche Aromen wie Wacholder, Knoblauch und Piment, die man dem Salzsud zugeben könnte; sondern bleiben auch im Sud bei Senf, Pfeffer und Meersalz - gerade jenen Produkten, die später dem fertigen Ei zugegeben werden. Na ja, und ein bisschen Lorbeer, weil Lorbeer muss eigentlich immer!

Zutaten

  • 1,5 l Wasser
  • 18 frische Eier (Kl. M)
  • 110 g Salz (wir nehmen eine höhere Dosierung Salz als Herr Biermann, die uns sehr dürftig erscheint - zumal wir die Eier nicht pulen und "andetschen" und davon ausgehen, dass mit mehr Salz die Diffusion durch die Eierschale besser gelingt. In dieser Dosis steigen die Eier auch nicht nach oben!)
  • 1 1/2 TL Senfsaat
  • Lorbeerblätter
  • Pfeffer, gerne verschiedene Sorten
  • möchte man, dass die Eier innen bunt sind, kann man Rotkohl oder Rote Beete im Sud mitkochen. Das macht dann allerdings mehr Spaß, wenn man die Eierschalen auch nach dem Kochen etwas anschlägt und dann ein nettes Craquelé-Muster am Ei verbleibt.
Vergleich Eier mit angepeckter und naturbelassener Schale bei gleicher Koch- und Einlegedauer:
Beim angepeckten Ei (jeweils hinten) ist das Eigelb durchgehend hellgelb,
bei unbeschädigter Schale (vorne) außen eine breitere Eisensulfid-Schicht (grünlich) - dafür innen noch pflaumweich. 

Zubereitung

8-Minuten-Eier in 18 Minuten..

Meistens sind die Eier, wenn man sie aus dem Oberfach der Kühlschranktür holt, zu kalt. Dann soll man das Wasser kochen, und wenn man die Eier ins kochende Wasser legt, platzen sie. Das Eieranstechgerät ist ein wunderbares Küchenutensil der 60er-Jahre, doch überflüssig, wenn man unser Rezept beherzigt...

  • Anderthalb Schock Eier aus dem Kühlschrank in einem weiten Topf, in dem die Eier nebeneinander liegend genügend Platz haben mit 35 Grad warmen Wasser (handwarmes Wasser aus der Leitung!) so bedecken, dass das Wasser die Eier ca 1 cm überdeckt sind. Volle pulle erhitzen, aber nicht kochen lassen, sondern auf einer Temperatur con ca 90 Grad, wo es etwas sprudelt noch 5 Minuten garen lassen. Bei der o. g. Menge dauert es ca 13 Minuten bis die Temperatur erreicht ist, bei einer kleineren Menge entsprechend kürzer. Zieltemperatur für das harte Ei im Ei-Inneren ist 82 Grad. 
  • Dann Eier mit kaltem Wasser lange abschrecken. Sonst könnte es später beim Auspellen schwierig werden.
  • Ungepellte Eier in ein großes Weckglas schichten. 
  • 1,5 Liter Wasser mit Salz, 1 1/2 TL Senfsaat, verschiedenen Pfeffersorten, die man in der Küche findet und ein Paar Lorbeerblättern aufkochen. Sobald sich das Salz aufgelöst hat, den Sud bei schwacher Hitze etwa 10 Minuten mit Deckel drauf köcheln lassen. Das Weckglas auf ein feuchtes Tuch stellen, dann zerspringt es nicht wegen des raschen Temperaturunterschiedes, wenn man nun zuerst ein wenig, dann den Rest des etwas abgekühlten Suds über die Eier leert.
  • Ein Paar Tage ziehen lassen, muss nicht im Kühlschrank erfolgen. Eier sollten sich locker zwei Wochen im Sud halten.